Theatersammlungen im deutschsprachigen Raum







Die Reste bewahren

Rollen- und Regiebücher sind Arbeitsexemplare, sie sind zerlesen, zerschlissen, mit Anmerkungen versehen, fallen auseinander, schweiß- und tränendurchtränkt. Sie enthalten Zettel mit Textergänzungen, manchmal auch eingelegte Illustrationen als Assoziationsmaterial, oft auch Grundrißskizzen, in die die Gänge der Schauspieler*innen eingetragen sind. Sie sind als Objekt schön und gleichzeitig restaurierungsbedürftig.
Programm- und Besetzungszettel sind seit jeher das zentrale Recherchemittel für das, was einmal die Bretter der Welt „erschütterte“. Wie für jedes andere Papier ist auch hier die Lagerung das Entscheidende: war es schwankenden Temperaturen, etwa auf dem (zu) trockenen Dachboden glühender Sommerhitze und eisiger Winterkälte ausgesetzt? Ist es in Kellern feucht geworden? Dabei spielt das jeweilige Alter oft die entscheidende Rolle: ist es noch ein gutes altes Hadernpapier, ist es in der Regel noch „wie neu“, ein Papier, das nur 50 Jahre später, etwa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gedruckt wurde, kann schon unter den Fingern rettungslos zerbröseln. Hier helfen Entsäuerung und Montage auf eine stabile Trägerschicht (z.B. Japanpapier).
Was alle physischen Materialien gefährdet, ist der Pilz- und Ungezieferbefall. Die Langzeitlagerung bedeutet vielfach Jahre oder Jahrzehnte absolute Ruhe – und damit auch Zeit, ungestört geschädigt zu werden, ohne dass es jemandem auffällt. Häufigere Nutzungen mindern zwar die Gefahr, dass sich unbemerkt Schädlinge ausbreiten, sie bergen aber auch das Risiko, dass die Materialien unbeabsichtigt infiziert werden oder sich durch allzuhäufige Nutzung „abnutzen“ – im Fachjargon nennt man das „vernutzen“.
Die problematischen Materialien in den Fotosammlungen, die sich dem Ziel einer nachhaltigen Bewahrung widersetzen, reichen von alten Glasplatten (19. Jahrhundert bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts über Nitratzellulose-Negative (1920er bis Anfang 1960er Jahre!) bis zu verblassenden Farbdias. Nitratzellulose, die sich selbst zersetzen sowie das Silber anderer Negative – auch der Sicherheitsfilme – angreifen kann und darüber hinaus feuergefährlich ist, bildet die schwierigste Materialgruppe, auch wenn durch die geringe Materialkonzentration von Fotofilmen nicht davon ausgegangen werden muss, dass es zu Selbstentzündungen kommt. Digitalisierung zur Bestandswahrung zumindest im jeweiligen Status quo ist hier oberstes Gebot.
Audiovisuelle Aufzeichnungen – ein Glück, dass wir sie haben, aus den letzten fünfzig oder sechzig Jahren! Sie sind sehr verführerisch, weil viele glauben, dass das die Aufführung sei – und es bleibt doch „nur“ ein Film oder eine Tonaufnahme.
Das Erlebnis Aufführung können sie nicht ersetzen. Und sie sind ein „Fluch“, weil deren Sicherung aufwändig und ungewiss ist. Die heutigen digitalen Aufnahmen und Sicherungen sind womöglich morgen nicht mehr sichtbar, weil es die Geräte, die Programme nicht mehr geben wird, auf und mit denen man diese Dateien abspielen kann – oder weil die historischen Datenträger altersbedingt die in ihnen enthaltenen Informationen nicht mehr einwandfrei speichern. Neben der Papierentsäuerung, einem immer noch ungelösten Problem, zeichnet sich hier eine neue Aufgabe der aufwändigen Langzeitarchivierung und hier letztlich der Migration, des Transfer von einem Dateiformat auf ein anderes, neueres, „gültiges“ ab. Bewahren hat aber auch damit zu tun, die Erinnerungen an gewesenes einzufangen, aufzuzeichnen. Hier wird das Archiv, die Sammlung lebendig, das Museum zum interaktiven Begegnungsort.


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